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Tardis Der Lauensteiner Ritterorden Die Anfänge der Geschichte des Ordens gehen bis in die Zeit des Tardischen Reiches zurück und ist an Tragik wohl kaum zu überbieten. Um über den Orden sich ein Urteil bilden zu können, sollte man einen kleinen Einblick über die Entstehung und das traurige Schicksal des Ordens riskieren. Um dieses allerdings in seiner vollen Länge darzustellen, wäre das vollständige Durchlesen der Lauensteiner Chronik vonnöten; für den interessierten Leser stelle ich hier aber eine stark gekürzte Fassung vor, die die wichtigsten Vorkommnisse beinhalten müßte: Einst in Tardis, dort wo die nördliche in die östlichen Reichsgrenze überging, befand sich ein kleiner Landstrich, der Lauenstein hieß. Seinen Namen verdankte das Land dem Grafen, dem das Land unterstellt war: Graf von Lauenstein. Es war ein schönes, sinnlich wirkendes Land. Felsige Ausläufe des östlichen Gebirges verbunden mit Wäldern und saftigen Wiesen. Schluchten mit reißenden Bächen durchzogen das Land, und viele kleine malerische Gebirgsseen verwandelten die Gegend in eine paradiesisch schöne Landschaft. Jedoch hatte das Land nur wenige Bewohner. Eine Handvoll kleiner Dörfer und nur wenige abgelegene Einsiedlerhöfe boten ein paar tausend Einwohnern in Lauenstein Platz. Trotz der verträumten Umgebung mieden die Menschen längere Aufenthalte in der weiteren Umgebung der Dörfer. Denn dem Umstand, daß die Grafschaft Lauenstein an der nördlichen Grenze des Reichs lag, war es letztlich zu verdanken, daß umherziehende Orks mit einer gewissen Regelmäßigkeit das Land heimsuchten. Immer wieder überfielen Orkhorden die weitab gelegenen Dörfer und Einsiedlerhöfe, und verbreiteten Angst und Schrecken unter der Bevölkerung. Wer hier geboren war, verließ aber das Land nicht. Die Menschen wurden mit der Mühsal groß und auch wenn sie nicht besonders glücklich waren, wollten sie ihre Heimat nicht aufgeben, nur um sich in den zivilisierten Landesteilen Tardis´ anzusiedeln. Hier war ihre Heimat und ihre Vorfahren lebten über viele Generationen hinweg in Lauenstein. Man war fest mit dem Land verwurzelt und wollte es nicht einfach den Orks überlassen. Zwar boten die regierenden Könige des Reichs immer wieder den Bewohnern an, das Land zu verlassen und in das Herz des Tardischen Reichs umzusiedeln, aber die Bitte wurde von den Lauensteinern stets freundlich abgelehnt. Zu jener Zeit als die Schattenmagier aus dem Reich Tardis vertrieben wurden, flüchteten diese bekanntlich in den Norden. Dabei passierten einige von ihnen die Grafschaft Lauenstein. Aus Wut und Haß über ihre gewaltsame Vertreibung, verschleppten sie viele Bewohner dieses kleinen Landes. Die Schattenmagier nahmen wahllos hunderte von Frauen und Kinder mit und setzten ganze Dörfer der Grafschaft in Brand. Machtlos mußte der Graf mit seiner kleinen und überforderten Armee zusehen, wie die vom Tardischen Heer gehetzten Magier an der Grafschaft Lauenstein ihrer Verzweiflung freien Lauf ließen. Zwar hielten sich die Magier nur wenige Tage in Lyndavia, Hauptstadt der Grafschaft, auf; dennoch hatten sie Zeit genug, unsagbares Leid über die Bewohner der Stadt zu bringen. Noch bevor das Heer des verstorbenen Königs von Tardis die vermeintlichen Mörder im Norden erreichen konnte, flüchteten diese weiter über die Grenzen Tardis hinaus und verließen die gepeinigte Grafschaft. Die verschleppten Lauensteiner wurden jedoch nie wieder gesehen. (Zur Erinnerung: Der König war in seinen Gemächern tot aufgefunden worden; und Carmon, der Illuminati-Inquisitor denunzierte die Schattenmagier als dessen Mörder. Der königliche Rat veranlaßte daraufhin die vollständige Vertreibung der Gilde aus Tardis. Siehe hierzu die ?Auszüge des Briefes an unser Volk?, verfasst von Belenius!) Um Lauenstein eine Entschädigung zu leisten, beschloß der Nachfolgender des ermordeten Tardischen Königs eines Tages, der Grafschaft genügend Geld zur Verfügung zu stellen, damit diese sich eine eigene schlagkräftigere Armee leisten könne. Mithilfe dieser Armee sollte Lauenstein imstande sein, sich eines Einfalls der Aschenwütriche erwehren zu können; wenigstens bis das reguläre Heer des Tardischen Reichs eintreffen und die Orks wieder vertreiben würde. Ulrich IV. von Lauenstein war zu dieser Zeit der Graf der Mark und somit Oberhaupt der Grafschaft. Als er eines Tages die Nachricht des Königs in Händen hielt, ließ er sich es nicht nehmen sein Land kurzfristig zu verlassen, um dem König seinen persönlichen Dank für die zugesprochenen Geldmittel zu überbringen. Auf der langen Rückreise stellte er bereits Überlegungen an, wie er das Geld am sinnvollsten einsetzen könne. Ihm überkam die Idee, einen Orden ins Leben zu rufen. Einen Orden, der die Grafschaft heroisch verteidigen und gleichzeitig dem edlen König des Tardischen Reiches jederzeit zu Diensten sein sollte. Ein Orden, dessen überragende Leistungen in jedermann Munde ist. Ein Orden, gleichermaßen von den Bewohnern der Grafschaft, wie auch der gesamten Tardischen Bevölkerung geliebt und geachtet. Dieser Gedanke erfüllte Ulrich mit tiefer Freude und er wollte seine Vision so bald wie möglich in die Realität umsetzten. Ulrich IV. hatte zwei Söhne und beide verdienten den vollen Stolz des Vaters. Der ältere der beiden, Sigmund von Lauenstein, sollte später die Grafschaft seines Vaters übernehmen. Somit entschied Ulrich IV. seinen jüngeren Sohn Viktor, als Oberhaupt des neu gegründeten Ordens einzusetzen. Und so geschah es dann auch. Ulrich IV. erfüllte sich seinen Wunsch und rief einen Orden ins Leben. Und wie konnte dieser auch anders benannt werden, als nach seinem Gründer: Lauenstein. Viktor übernahm sogleich euphorisch den Aufbau des Ordens. So kam es, daß Viktor mit seinem Bruder Sigmund alle Teile des damaligen Alten Tardischen Reichs aufsuchte, um Mitstreiter ausfindig zu machen, die den hohen Anforderungen des neuen Ordens genügen würden. Beide Brüder machten es sich zur Aufgabe, die edelsten und heldenhaftesten Ritter dieser Zeit persönlich zu kontaktieren, um diese feierlich zum Beitritt des Orden zu bewegen. Mehrere Jahre waren die beiden im Reich unterwegs, ständig auf der Suche nach Männern, die dem Orden beiwohnen sollten. Und sie waren erfolgreich. Nach einiger Zeit hatten die Brüder ein ansehnliches Gefolge zusammengestellt. Adlige Kavaliere, unabhängige Ritter, heldenhafte Kämpfer und selbst Paladine erklärten sich bereit, sich dem neuen Orden Lauenstein zu unterstellen, um künftig der Grafschaft und ferner dem Tardischen Reich bis ans Lebensende zu dienen. Als Sigmund und Viktor von ihrer langen Reise durch Tardis nach Lauenstein zurückkehrten, war ihr Vater inzwischen sehr alt und gebrechlich geworden. Es heißt, er habe die Götter gebeten, ihn noch ausreichend lange am Leben zu lassen, auf das er ein letztes Mal seinen ganzen Stolz ? seine beiden Söhne ? zu Gesicht bekommen könne. Diese Bitte wurde ihm erfüllt. Als er seine heimgekehrten Söhne nach langer Zeit wieder sah, schlief er kurz darauf friedlich in seinem Bett ein und verstarb endgültig. Trauer machte sich breit. Die gesamte Grafschaft teilte den Schmerz der Söhne über den Tod ihres Vaters, denn er war zu Lebzeiten ein guter Graf und gerechter Herrscher gewesen. Stets um das Wohl der Bevölkerung von Lauenstein besorgt; so sollten sie ihn in Erinnerung behalten. Sigmund und Viktor hatten sich bereits in ihrer Jugend ewige Treue und Freundschaft geschworen. Beide traten bald darauf ihrer Berufung entgegen, und nahmen ihre Aufgaben würdig wahr. Und auch wenn beide sehr beschäftigt waren, so musste keiner der beiden Brüder auf die Hilfe und den immerwährenden Beistand des anderen verzichten. Denn war der Bund der beiden Brüder schon in ihrer Kindheit stark gewesen, so wurde er durch den Tod ihres Vaters zusätzlich gestärkt. Sigmund und Viktor teilten alles brüderlich miteinander und setzten sich füreinander ein, sobald es nur im Mindesten notwendig erschien. Die unvergleichliche Stärke dieses Herrscherbundes und die einzigartige Loyalität wurde über die Grafschaft hinaus bekannt und galt später im gesamten Tardischen Reich als legendär. Sigmund, der Graf von Lauenstein, trat in die Fußstapfen des Vaters Ulrich und verwaltete das Land so gut er es vermochte. Es brachen goldene Zeiten in Lauenstein an. Das Volk war mehr als zufrieden mit dem würdigen Nachfolger. Und Viktor, das Oberhaupt des Lauensteiner Ritterordens, sorgte für Ruhe und Ordnung in der Mark. Orküberfälle wurden reduziert, Goblins vollständig aus den Lauensteiner Wäldern vertrieben und auch das übrige Gesindel, wie kriminelle Vereinigungen oder gar Trolle wurden durch die Kreiger des Ordens zur Strecke gebracht. Während dieser Zeit wurde bereits Viktor nachgesagt, er hätte ein besonderes Verhältnis zur unberührten Natur. Er liebte malerische Landschaften, insbesondere unbewohnte Wälder hätten es ihm angetan. Aus diesem Grunde faßte Viktor eines Tages den Entschluß, mit einem kleinen Begleittrupp von einem Dutzend Ordensritter, an der östlichen Reichsgrenze in Richtung Süden zu ziehen, um die sagenumwobenen Wälder von Tortall aufzusuchen. Zwar war ihm bekannt, daß er als Eindringling in den Wäldern nichts verloren hatte, dennoch war er so beeindruckt von den vielen Erzählungen und geschriebenen Geschichten über Tortall, daß er sich es nicht nehmen ließ, diese Gegend persönlich zu erkunden. So geschah es, daß Viktor von Lauenstein mit seinen tapferen Mitstreitern und engsten Freunden anfangs respektvoll die Wälder mehrere Wochen lang von Außen bestaunte, ohne nur einen Fuß in ihr Inneres zu setzen. Langsam stieg aber in Viktor die Begierde, die Wälder endlich zu betreten, um ihre Schönheit in vollen Zügen genießen zu dürfen. An jenem Tag, an denen er dann kurzfristig beschloß, daß er in die Wälder vordringen würde, hatte seine kleine tapfere Gruppe eine folgenschwere Begegnung: Sagenumwobene Baumhirten nahmen zu den Rittern plötzlich Kontakt auf. Sie erzählten den Männern aus Lyndavia, einigen Goblins wäre es mit Hilfe von Trollen gelungen ein Einhorn in ihrer Domäne einzufangen und gefangenzuhalten. Dieser schwere Eingriff in das natürliche Gleichgewicht der Domäne, komme einem Seelenraub gleich und könne langfristig das Ende dieses Waldabschnitts bedeuten! Die Baumhirten schienen sichtlich erbost und zutiefst erschrocken über dieses sakrilegartige und ignorante Handeln der Goblins zu sein. Auf Bitten der Hirten hin, erklärten sich die Ritter von Lauenstein bereit, dem schändlichen Treiben der Goblins ein jähes Ende zu bereiten. Und so zogen sie in das Innere der Wälder, auf der Suche nach dem gefangengenommenen Einhorn. Ihnen schloß sich alsbald ein Feenkobold an, der ihnen den kürzesten Weg deutete. Nach einigen Tagen der anstrengenden Reise durch Tortall fanden Viktor und seine edlen Mitstreiter den Ort der Schändung. Nur wenige Stunden von diesem Ort, an dem das sagenumwobene Geschöpf von den Goblins hinterhältig gefangen genommen wurde, befand sich das gepeinigte Einhorn in einer Goblinansiedlung. Dort hatte es, gefesselt nach alter Goblinmanier, am Boden kauernd in einem dreckigem Holzkäfig zu verharren. Ohne weitere Zeit zu verlieren, nutzen die Ritter das Überraschungsmoment und stürmten direkt in das Dorf der Goblins und schickten die Übeltäter in ihren wohlverdienten Tod. Es war ein kurzes, aber grausames Scharmützel, in dem auch einige Ritter ihre Ende fanden. Unerwartet tauchten unversehens noch einige Trolle auf, die den Rittern übel mitspielten. Dennoch gelang es Viktor, dem weißen Einhorn wieder seine Freiheit zu verleihen. Anschließend floh Viktor mit lediglich zwei seiner Kumpanen in den Schutz des dichten Waldes. Die nächsten Tage ließen sich die drei verwundeten Männer von dem Feenkobold wieder aus Tortall hinausgeleiten. Bevor sie jedoch die Domäne verließen, nahmen die Baumhirten erneut Kontakt zu den Rittern auf. Sie drückten auf ihre Weise unendlichen Dank aus, indem sie Viktor mit seinen beiden mutigen Gefolgsleuten jeweils in den Stand eines Auserwählten erhoben! Desweiteren erhielt Viktor ein Zugeständnis von den Baumhirten: Ihm wurde ein Stück Land innerhalb dieser Domäne zugesprochen, auf dem er eines Tages eine Burg Lauenstein errichten dürfe. Viktor zeigte sich zutiefst beeindruckt von diesem Geschenk, da er genau wußte, daß die Baumhirten niemals in der langen Geschichte der Wälder von Tortall einem Sterblichen ein solch wertvolles Zugeständnis erteilt hatten. Er war der erste Mensch, dem ein Stück Land innerhalb der Wälder zugewiesen wurde. Später wurde erzählt, Viktor besaß daraufhin ein besonderes Verhältnis zu den Baumhirten dieser Domäne. Es soll sich im Laufe der Jahre sogar eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen entwickelt haben und Viktor verstand sich als eine Art Pate Tortalls. |
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Der Lauensteiner Ritterorden Soweit der offizielle Teil der Lauensteiner Chronik. Was von nun an geschah, wurde erst viel später, aufgrund mühseliger Nachforschungen einiger Gelehrter bekannt: Viktor war inzwischen ein Mann mittleren Alters. Er hatte nahezu alles erreicht, was ein Mann seines Alters erreichen konnte. So kam es häufig vor, daß er sich zurückzog, um für sich allein zu sein. Sigmund respektierte dies und ließ Viktor seine Freiräume, wann immer er es benötigte. Während solcher Zeiten kam es nicht selten vor, daß Viktor sich auf sein Pferd setzte und einen ausgedehnten Ausritt in die malerische Landschaft Lauensteins machte. Oft war er Tage oder gar Wochen zu Pferd unterwegs und Sigmund sorgte sich während solchen Zeiten um seinen geliebten Bruder. Eines Tages wurde Viktor dann Zeuge eines, sich direkt vor seinen Augen zutragenden Schauspiels. Als er an der westlichen Grenze der Mark Lauenstein auf seinem Schlachtroß unterwegs war, sah er, wie einige hundert Meter von ihm entfernt drei Männer eine junge Frau über eine Wiese hetzten. Die Frau schrie und stürzte mehrmals zu Boden. Als die Männer sie fast erreicht hatten, stürmte Viktor auf seinem Roß los und zog sein Schwert. Er rief den Männern zu, sie sollen von ihrem Vorhaben ablassen, aber sie beachteten den Lauensteiner Ritter nicht. Anstatt die Hatz einzustellen fielen sie über die Frau her und drückten sie gewaltsam auf den Boden. Viktor zog sein Schwert, warnte ein weiteres Mal und hieb die Männer mit seinem Schwert nieder. Die hübsche junge Frau war bereits verletzt und völlig außer sich vor Angst. Viktor versuchte sie zu beruhigen und ferner ihren Namen oder ihre Herkunft in Erfahrung zu bringen. Sie aber ging nicht auf seine Fragen ein; drückte dem Ordensritter jedoch ihren Dank aus, verabreichte ihm ein Amulett und nannte Viktor ihren ehrenhaften Lebensretter. Weil sie ihm zu ewigen Dank verpflichtet sei, brauche er nur den Edelstein am Amulett zu befeuchten, wenn er ihre Hilfe benötige. Anschließend umarmte sie den Ritter und küsste ihn auf die Wange. Bevor der verwunderte Viktor weitere Fragen stellen konnte, lief sie plötzlich in den Wald. Viktor versuchte ihr zu folgen, jedoch verweigerte sein Pferd das dichte Buschwerk zu betreten. Viktor stieg ab und sah in den Wald. Als er weder etwas erkennen, noch hören konnte und niemand auf seine Rufe zu reagieren schien, kniete er nieder und sah sich das Amulett genauer an. Er glaubte inzwischen einer märchenhaften Fee begegnet zu sein, sah wieder in den Wald und lächelte verstohlen. Dann steckte er das Kleinod unter seinen Mantel und stand auf. Anschließend durchsuchte er die toten Männer, die er für Landstreicher oder Gauner gehalten hatte. Sie waren mit ledernen Mänteln bekleidet und als er diese Aufschlug, traute er seinen Augen nicht: Sie hatten unter den Mänteln Gewänder an, wie sie nur Priester der Lichtbringer trugen. Einer von ihnen hatte sogar eine Inquisitoren-Kleidung an. Geschockt trat Viktor einen Schritt von den Leichen zurück. Während er später die Toten begrub redete er sich ständig ein, die Männer hätten bestimmt die Gewänder aus einem Tempel entwendet oder sie sich auf anderem Wege unrühmlich verschafft. Weshalb sollten Inquisitoren hier draußen jungen Frauen nachstellen? Das ergab alles keinen Sinn. Viktor erzählte nach seiner Heimkehr dennoch keinem von diesem Vorkommnis. Weder den Ordensmitgliedern, noch seinem Bruder. Die folgenden beiden Jahre waren ruhig. Der Orden wurde zusehends vergrößert. Und auf dem kleinen Land in den Wäldern Tortalls, das Viktor einst als Zugeständnis von den Baumhirten erhielt, ließ Viktor eine Burg errichten. Zwar entpuppte sich das Vorhaben als wesentlich schwieriger, wie Viktor anfänglich angenommen hatte (es fanden sich kaum geeignete Baumeister und Arbeiter, die freiwillig am Bau einer Burg inmitten der gefürchteten Wälder teilnehmen wollten), aber diese Burg sorgte schnell für Aufsehen. Denn dieses Bauwerk war seit Bestehen der Wälder von Tortall einmalig. Niemals hatte es auch nur etwas Vergleichbares in diesen Wäldern gegeben. Über Jahrtausende hinweg duldeten die Wälder nicht einmal einen Eindringling in ihrem Inneren ? und nun sollte eine bewohnte Burg in dieser unheimlichen Gegend entstehen. Für das Volk in den großen Städten von Tardis war diese Nachricht von unglaublicher Natur. Erst lange Zeit danach kehrte diesbezüglich wieder Ruhe in dem Reich ein und die Tardische Bevölkerung schien diesen Umstand akzeptieren zu können. Gesehen hatte freilich kaum jemand die Burg; wollte natürlich niemand die Gefahren freiwillig auf sich nehmen und durch die Wälder bis zu dieser sagenumwobenen Burg vordringen. Dennoch hatte nun Viktor einen Bekanntheitsgrad, ähnlich dem König des Reiches selbst erlangt. Der Orden von Lauenstein war nun in aller Munde, so wie einst Ulrich IV. es sich gewünscht hatte. Viktor allerdings zog es weiterhin vor, sich nicht von seinem Bruder Sigmund zu trennen; und so blieb er an dessen Seite in Lyndavia. Die neue Ordensburg in Tortall blieb größtenteils leer und ungenutzt und glich daher einer ausgestorbenen Geisterburg. Besucher kannte das Bauwerk aus oben genannten Gründen nicht. Ritter bewohnten kaum die Festung; angeblich sogar nur jene beiden Männer, welche damals die Befreiung des Einhorns überlebt hatten. Dies war allerdings auch der Wille Viktors, der die Gunst, die ihm die Baumhirten zuteil werden ließen, keinesfalls überbeanspruchen wollte. Er fürchtete, wenn der Burg zu viel Bedeutung im Tardischen Reich beigemessen werden würde, stelle sich vielleicht doch ein reger Zuwachs rings um die Burg ein, und genau dies wollte Viktor unter allen Umständen vermeiden. Die Wälder sollten weiterhin in ihrer harmonischen Ruhe verharren, unbewohnt bleiben und keinesfalls von Eindringlingen besucht oder auf andere Weise bevölkert werden. Die Unberührtheit Tortalls war im Sinne der Baumhirten und der übrigen Bewohner der Wälder ? dies wusste Viktor und er respektierte dies wie es kein anderer hätte mehr respektieren können. Daher wurde auch niemals eine Straße zu der Ordensburg in Tortall errichtet. Die Lage der Festung sollte nach dem Willen Viktors für Eindringlinge stets unbekannt und nicht nachvollziehbar sein. Viktor glaubte wegen der fehlenden Zufahrtswege würde es sich ohnehin niemand zumuten, die Festung uneingeladen aufzusuchen. Zu groß war die Angst des gemeinen Mannes vor den häufig zitierten Gefahren der Wälder, als daß er sich je bis zur Burg vorgewagt hätte. Und die Baumhirten dankten es dem Ersten Ritter von Lauenstein... Viktor mußte indes immer wieder an seine damalige Begegnung mit der jungen Frau denken; sie ging ihm nicht aus dem Kopf. Er hätte viel darum gegeben sie wieder zu sehen. Oft saß er abends in seinen Gemächern und sah das Amulett an und war nahe davor den Edelstein mit dem Wein zu befeuchten, den er jeden Abend vor dem knisternden Kaminfeuer zu sich nahm. Aber seine Ehre als Edelmann verbat es ihm; er benötigte schließlich keine Hilfe ? somit hatte er nicht das Recht die schöne Frau herbeizurufen. Acht Jahre, nachdem Ronimus und die Schattenmagier das Reich verlassen mußten, beobachteten Lauensteiner Späher in den nördlichen Ebenen größere Aufmärsche kriegerischer Orkstämme. Jedoch schienen sie nicht wie gewohnt ihresgleichen zu erschlagen, sondern trafen sich gezielt nahe der Tardischen Grenze. Als Sigmund davon erfuhr, schickte er sofort Boten los, die dem Tardischen König unverzüglich darüber benachrichtigen sollten. Viktor versammelte derweil seine Ordensritter um sich und beratschlagte, was die plötzliche Sympathie der Orks zueinander zu bedeuten hätte. Der Tardische König reagierte ebenfalls beunruhigt, denn nicht nur die Grafen an den nördlichen Grenzen hatten Orkbewegungen berichtet. Inzwischen trafen selbst Boten von den Gordolinern und den Grauen Zwergen aus den östlichen Bergen ein, die ihrerseits ebenfalls Nachrichten von riesigen Orkarmeen überbrachten. Der König entschied sich, das Tardische Heer schnellstmöglich in die Ebenen von Viala zu verlegen. Und das sollte wohl, wie wir heute wissen, der letzte Befehl sein, den das gewaltige Tardische Heer ausführte... Denn dort trafen sie völlig überrascht gegen unzählige Orks, die ihrerseits die nördlichen Grenzen überschritten hatten, um dem Heer zuvorzukommen. Eine monströse Schlacht entbrannte in Viala, in der das unterlegene Tardische Heer vollständig vernichtet wurde. Von nun an machten Zehntausende von Aschenwütriche sich über das Tardische Reich her, welches nun größtenteils wehrlos vor ihnen lag. Lauenstein wurde indes von Orks der Nebelbrut heimgesucht. Vor den Mauern der Hauptstadt der Grafschaft, Lyndavia, traf der Orden Lauenstein mit der Nebelbrut zusammen. Sigmund, Graf von Lauenstein, ließ es sich nicht nehmen, neben seinem geliebten Bruder in vorderster Reihe in den unausweichlichen Kampf zu ziehen. Seite an Seite ritten sie den Orks entgegen. Der Orden schien der Brut anfangs überlegen zu sein. Auf ihren mächtigen Schlachtrössern mähten sie unaufhörlich blutige Breschen in die Reihen der Orks. Als Sigmunds Pferd jedoch von einem Speer durchbohrt wurde, fiel das Ross zu Boden und begrub das Bein des Reiters unter sich. Viele tote Orks bedeckten inzwischen das Erdreich. Nur wenige kämpften noch verzweifelt gegen die Ordensritter. Als Viktor seinen Bruder am Boden liegen sah, eilte er zu ihm. Er stellte sich über seinen verletzten Bruder und verteidigte ihn gegen heranstürmende Orkhorden. Schlag für Schlag wehrte er die gegnerischen Hiebe kräftiger Aschenwütriche ab. Da erkannte Sigmund plötzlich eine dunkle, schwer verletzte Gestalt, wie sie im Wald kniete und einen schwarzen Stab auf den mit kreisenden Bewegungen über ihr Haupt hielt. Plötzlich fuhr der Stab nieder und sein verziertes Ende zeigte direkt auf Viktor. Als Sigmund seinen Bruder vom Gewicht des sterbenden Pferdes befreien konnte, schoss aus dem Stab ein bedrohlich wirkender Strahl pfeilschnell auf den inzwischen wieder auf die Beine gekommenen Viktor zu. Der Strahl, selbst dunkel wie die Nacht, traf den Ordensritter an der Schulter und wuchtete ihn mit unvorstellbarer Kraft gegen den knorrigen Stamm einer alten Eiche. Dort sackte er zusammen und blieb reglos liegen. Eine dunkle Blutlache verfärbte den Boden unter Viktor und wuchs zu einem kleinen, roten See an. Sigmund, der ebenfalls zu Boden gerissen wurde, raffte sich mit letzter Kraft auf und humpelte zu seinem Bruder hinüber. Dort ließ er sich kraftlos fallen und wendete den Oberkörper Viktors. Er suchte seinen Puls, konnte ihn aber nicht finden. Um die beiden Brüder herum verebbte langsam der Kampf. Die letzten Orks fielen. Entgeistert blickte Sigmund zum Schlachtfeld und beobachtete fassungslos das letzte Treiben. Dann sah er wieder in das Gesicht Viktors, streckte seine geballte Faust in den Himmel und schrie kraftvoll seinen ganzen Zorn heraus. Er schrie, wie er es zuvor in seinem Leben noch nie getan hatte. Der Schrei war von Wut und gleichzeitiger Trauer so sehr zur Unkenntlichkeit zerfressen, daß er gänzlich unmenschlich klang. Blut rann aus dem weit geöffneten Mund seines Bruders, tropfte vom Kinn herab auf den Hals. Das Blut verfärbte das Amulett, welches Viktor stets bei sich trug in ein dunklen rötlichen Ton. Der Edelstein war kaum noch zu erkennen. |
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Der Lauensteiner Ritterorden Und wie in einem Traum trat plötzlich eine wunderschöne, junge Frau hinter der Eiche hervor. Was von nun an geschah, verrieten uns später die Eintragungen in Sigmunds Tagebuch: "... Ich sah die Frau an. Sie hatte langes blondes Haar, eine etwas blässliche Hautfarbe und ein schmal geschnittenes Gesicht. Ihre großen, blauen Augen begutachteten Viktor. Ihr Mund stand leicht offen, und ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie sich zutiefst erschrocken haben musste. Sie trug ein weißes Kleid und war barfuß. Sie sah aus wie ein Engel. Eine Gesandte Mishas. Ich konnte erkennen, wie ihr eine Träne an der Wange hinabrann. Woher war sie gekommen? Was hatte eine solche Frau auf diesem Schlachtfeld verloren? Ich fragte sie leise nach ihrem Namen. Daraufhin kniete sie sich nieder und berührte langsam die Wangen Viktors mit ihren zarten Händen. "Er ist tot, oder?", flüsterte sie. Geistesabwesend strich sie ihre Haare aus dem Gesicht. Traurig, mit versteinertem Gesichtsausdruck beäugte sie das Gesicht meines Bruders. "Er hat mir vor Jahren das Leben gerettet", fuhr sie leise fort. Dann drückte sie Viktor einen leichten Kuß auf die Lippen und presste ihr linkes Ohr fest an seine Brust. Plötzlich verschwomm alles um mich herum, mein Blick wurde unklar; meine Augen füllten sich mit Tränen, die wie milchige Schleier mein Umfeld zu verdecken schienen. Ich fühlte eine unendliche Leere in mir. Mein Bruder! Mein geliebter Bruder ? TOT! Ich ertastete mit meinen Fingern sein Schwert, welches neben mir auf dem blutdurchtränkten Boden lag und legte es quer über seine Brust, wie es sich für einen stolzen Krieger gehörte. Gestorben im Kampf für seine Heimat. Gestorben für die Ideale, die seinen Orden so berühmt gemacht hatten. Gestorben mit dem Schwert in der Hand... Da sprang die Frau plötzlich auf und sah mich mit flehenden Augen an. "Wir können ihn noch retten, wenn Ihr wollt, Herr!", schrie sie mich an. Ungläubig starrte ich sie an. In ihren Augen entbrannte ein Leuchten, wie wenn sie soeben einen neuen Hoffnungsschimmer in der Ferne ausgemacht hätte. "Aber ihr müsst mir behilflich sein, Herr! Wollt Ihr das?" Noch immer sah ich sie ungläubig an. Ich verstand nicht was sie sagte, meinte, was sie von mir wollte. "Helft mir Sigmund von Lauenstein und wir können Viktor zurückholen!" Sie kam zu mir herüber und ergriff meine Hand. "Bringt den Mörder von Viktor, mit ihm können wir Euren Bruder noch retten!" Ich schüttelte langsam den Kopf und riss meine Hand los. "Wie soll das geschehen? Und wer bist du, daß du mir solche Ratschläge erteilst?" Sie griff mir unter die Arme und zog mich auf die Füße. Mein rechtes Bein schmerzte derart, daß ich unweigerlich zusammensackte. "Euer Bruder hat mir einst das Leben gerettet, nun ist es für mich an der Zeit, ihm dafür zu danken." Mit lieblicher Stimme fuhr sie fort: "mein Name ist Anusha und ich möchte, daß alles wieder gut wird." Meine Augen brannten und mein gesamter Körper schmerzte. Aber ich nahm das nicht wahr. Der Schmerz über den Verlust meines Bruders übertraf alles bei weitem. "Bist du eine Heilerin?", fragte ich sie. Sie sah mich an und zögerte einen Augenblick. "Ich bin der Heilkunst mächtig", antwortete sie dann. Sie hielt kurz inne und schrie mich dann an: "Nun, Sigmund von Lauenstein! So handelt wenn ihr euren Bruder wieder in dieser Welt haben wollt!". Sie sprang auf mich zu und schüttelte mich an den Schultern; Tränen flossen an ihren Wangen hinab, als sie mich erneut anschrie: "So holt den Mörder eures Bruders! Bringt ihn, bevor er zu fliehen versucht!". Ich zuckte zusammen und mir kam es vor, als wäre ich plötzlich erwacht. Erwacht von einem bösen Traum. Mein Körper schwitzte. Wie bei einem Kind, daß aufgeschreckt von einem Alptraum in seinem Bett sitzt und nach seinem Vater ruft. Aber mein Vater war tot. Seit Jahren. Es nutzte nichts, nach ihm zu rufen. Und da lag nun mein Bruder. Ebenfalls tot. In diesem Moment wollte ich auch sterben. Was hatte es für einen Nutzen, als einziger der Lauensteins in dieser grausamen und erbarmungslosen Welt zu verharren. Mit aller Mühe stellte ich mich auf. Mit zittrigen Knien stand ich da. Ich sah mich um. Leichen überall. Menschen. Aschenwütriche. Blut. Soweit das Auge reichte klaffende Wunden. Angelehnt an der kräftigen Eiche, an die Viktor geprallt war, sah ich meinen Bruder erneut an. Er lag da, zusammengekrümmt ? entstellt. Mein Blick schweifte ab. Ich sah Tote umherliegen. Überall. Orks. Häßliche Orks mit klaffenden Wunden an ihren grauen Körpern. Vereinzelt lagen Ordenskrieger leblos am Boden. Andere röchelten oder schrien vor Schmerzen. Einer der Ritter winselte. Er verlangte nach der Erlösung seiner Schmerzen, von der Pein. Seine Schmerzen mussten grauenvoll sein. Ein Speer hatte seine Panzerung in Bauchhöhe durchstoßen und seine Eingeweide durchbohrt. Der Mann dürfte eigentlich nicht mehr Leben sein. Mit weit aufgerissenem Augen starrte er mich an, ein Arm leicht erhoben, als bitte er mich um Erlösung. Ich ging langsam zu ihm hinüber und nahm seine Hand zwischen meine beiden Hände. Ich drückte sie ein letztes Mal fest und verabschiedete mich leise von ihm. "Du hast mutig gekämpft, Darmon ? ich werde mich um deine Kinder kümmern und es ihnen später einmal erzählen, was für einen großartigen Vater sie hatten", hörte ich mich sagen. Er lächelte mich an; dann stand ich wieder auf und erhob mein Schwert. Ich schenkte ihm den wohlverdienten Frieden. Es war alles so sinnlos. Mit einem kräftigen Stoß steckte ich das Schwert in die moosbedeckte Erde. Und da sah ich ihn am Boden liegen! Mit dem Gesicht der Erde zugewandt, lag er da auf dem Bauch. Doch ich erkannte ihn sofort an der schwarzen Kutte! Verdammt! Sie waren also zurückgekehrt! Die einst Vertriebenen kamen wieder in ihre alte Heimat zurück. Und hatten sich wahrlich starke Verbündete gesucht. Ich erinnerte mich an jene Zeit, in der sie das Land verlassen mußten. Gejagt vom Tardischen Heer, überfielen sie unsere Dörfer. Unsere wehrlosen Dörfer! Verschleppten Frauen und Kinder. Meuchelten und mordeten! Haß stieg langsam in mir auf. Ich mußte daran denken, wie vor meinen Augen meine leibliche Mutter von einer Gruppe Schattenmagier verschleppt worden war. Sie wehrte sich, schrie vor Angst, bäumte sich mit aller Kraft auf. Aber es interessierte sie nicht. Sie schleiften sie einfach mit. Ich lief ihr hinterher. Rief nach ihr. Bis ich von hinten niedergeschlagen wurde, und zu Boden fiel. Meine Mutter habe ich nie wieder gesehen. Viktor hatte diesen Verlust nie überwunden. Er dachte sein Leben lang häufig an sie. Fragte sich, was wohl aus ihr geworden war... Aber dies reichte euch wohl nicht! "Jetzt habt ihr auch noch meinen Bruder auf eurem Gewissen, ihr verdammte, gottlose Ausgeburt der Nacht!", schrie ich und stürzte auf den Magier zu. Ich griff hinunter und drehte ihn um, so daß ich in sein Gesicht sehen konnte. "Du Mörder!" Der Mann lebte noch und sah mich an. Ich konnte seine Angst deutlich fühlen, spürte das Zittern an seinem Körper. Doch ich suchte Genugtuung. Genugtuung für all die Pein der letzten Jahre! "Fahr zur Hölle!" Mit einem einzigen Schwertstreich enthauptete ich den Schattenmagier. Und ich fühlte mich gut dabei! So stand ich da. Zarte Hände faßten mich an der Schulter, als ich auf den Magier nieder sah. Anusha trat um mich herum und blickte auf den Leichnam. Dann wandte sie sich an mich. "Wenn ihr nun wollt, daß euer Bruder uns wieder Gesellschaft leistet, tut was ich euch sage", hörte ich ihre liebliche Stimme sagen. Wie in tranceähnlichem Zustand, nickte ich, antwortete ich mit einem einfachen "ja". Sie hielt mir einen Kelch entgegen; ich erkannte in ihm den Weinkelch meines Bruders. "Fangt das Blut seines Mörders hiermit auf". Ich nahm den prunkvollen Kelch und hielt ihn an den Halsstumpf des Gildenmitglieds gepreßt. Allmählich füllte sich das Gefäß mit der roten Flüssigkeit. Sie sah aus wie Wein. Frischer, dickflüssiger Rotwein. So wie ihn Viktor früher liebte. Ich erinnerte mich an die vielen Abende zurück, an denen Viktor und ich am Kaminfeuer saßen und uns Geschichten erzählten, gemeinsam sangen. Angeheitert von rotem Wein lachten und erzählten wir bis in die späte Nacht hinein. Diese Erinnerungen entlockten mir ein schwaches Lächeln. Gefühlvoll, fast schon zärtlich, zog Anusha den blutigen Kelch aus meinen Händen. Sie nahm mich am Arm und stützte mich, während wir zu Viktor hinüber schritten. Beide blieben wir vor ihm stehen. Wie er da so lag, durchfuhr mich ein Zittern. Ich kniete vor meinem Bruder nieder. "Was soll ich nun tun, was verlangst du von mir?", fragte ich heiser. "Ich verlange nichts von euch, Sigmund", antwortete sie. "Was ihr tut, ist freiwillig; ihr müsst es wollen, Sigmund." Ihre Stimme war so klar, so rein. Ich hatte das Verlangen sie zu umarmen in meiner Wehmut. Schließlich kannte sie meinen Bruder. Und sie spendete Trost, und Wärme in diesem Moment der unendlichen Trostlosigkeit. Sie sah mich mit ihren schönen Augen an. Ihr Gesicht war zart, ihre helle Haut glänzte im fahlen Sonnenlicht. "Unsere unendlich barmherzige Göttin Misha, symbolisiert Blut als Saft des Lebens. Schenkt eurem Bruder...", sie hielt kurz inne, und fuhr dann mit beschlagener Stimme fort: "...und meinem edlen Retter den Lebenssaft seines Mörders. Es wird ihm zum Leben erwecken und Gerechtigkeit wird somit widerfahren. Vergeltet Gleiches mit Gleichem. Gebt ihm sein Leben zurück...!" Und ich tat es, ohne auch nur zu zögern. Ich flößte Viktor das Blut des Schattenmagiers ein. Er schlug plötzlich die Augen auf. Schwach griff er zum Kelch, während er trank. Und er trank weiter, begierig, als hätte er wochenlang keine Flüssigkeit mehr zu sich genommen. Blut lief ihm von den Mundwinkeln hinab, aber er ließ nicht ab ? leerte den Kelch vollständig. Dann sackte er zusammen und fiel in einen langen, ruhigen Schlaf. Erstaunt betrachtete ich meinen Bruder. War er tatsächlich zu Lebenden zurückgekehrt? Hatte der Engel Misha?s Recht behalten. War es uns tatsächlich gelungen Viktor in letzter Sekunde den Klauen des Todes zu entreißen? Meine stille Verwunderung wich schnell der Freude. Ich wollte dem blonden Engel danken, aber sie war verschwunden. Ich stand auf und blickte das Schlachtfeld hinunter, rief ihren Namen, konnte sie aber nirgends entdecken. Irritiert wandte ich mich wieder Viktor zu. Mit einem schüchtern klingendem Lachen klopfte ich ihm liebevoll mit der Hand auf die heile Schulter. "Die Heiler werden deine restlichen Wunde nun auch noch verschließen", sagte ich - wohl wissend, daß Viktor meine Worte in seinem tiefen Schlaf ja doch nicht vernehmen konnte. Ich war mir jedoch sicher, dass unsere innige Seelenverwandtschaft trotz seiner Ohmacht diese Bewusstseinsdistanz überbrücken würde. Ich griff unter seine Achseln und zog seinen Körper fest an den meinigen. Während ich ihn mit meinen letzen Kräften zu den Pferden zog rief ich mehrmals nach einem Heiler. Wenig später zogen sich die Überreste des schwer angeschlagen, aber immerhin siegreichen Ordens gesammelt nach Lyndavia zurück..." Aus dem Tagebuch Sigmunds von Lauenstein aus Lyndavia |
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Der Lauensteiner Ritterorden Was an den darauffolgenden Tagen geschah, war aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einfach zu begreifen. Viktor war tatsächlich aus dem Reich der Toten zurückgekehrt und weilte fortan wieder unter den Sterblichen. Aber er war nicht mehr der alte. Er war auf sonderbare Weise verändert. Er verfiel immer häufiger in panische Zustände, hatte Alpträume, sein Gemüt änderte sich zusehends von Tag zu Tag. Es wurde überliefert, daß er nachts unaufhaltsam schlafwandelte; mit weit aufgerissenen Augen und bleichem Gesichtsausdruck wirre Taten vollbrachte, während er am Tage das Licht mied. Priester untersuchten und beobachteten den Ordensritter und erzählten sich hinter vorgehaltener Hand, der Bruder Sigmunds wäre einem geistigen Wahn verfallen. Er erbrach alles Essen was er zu sich nahm und töte eines Nachts einen Priester, der ihn zu behandeln versuchte. Diener ertappten ihn dabei, wie er anschließend das noch warme Blut des Toten aus den Adern am Arm des Leblosen trank. Weiterhin wurde berichtet, daß schon bald darauf eine bis dahin unbekannte Epidemie Lyndavia heimsuchte und Hunderte von Menschen dahinraffte. Als Wochen danach eine zweite Angriffswelle der Orks über die Grafschaft Lauenstein hereinbrach, fanden diese nur noch ausgestorbene Städte und Dörfer vor. Die wenigen verbliebenen Menschen litten an einer eigenartigen Krankheit, die offensichtlich Wahnvorstellungen hervorrief. Sie erzählten den verdutzten Aschenwütrichen von mordenden Kreaturen der Nacht und baten ausgerechnet die verhaßten Orks panisch um Hilfe. In einigen Dörfern, so wurde später erzählt, feierten nahezu blutleere und abgemagerte Menschengestalten die eintreffenden verblüfften Orks als Befreier! Als die Besatzungsmächte in den folgenden Nächten ebenfalls auf unerklärliche Weise Verstorbene zu beklagen hatten, ordneten die Schattenmagier unverzüglich an, Lauenstein zukünftig zu meiden... Über den Verbleib von Sigmund, Viktor und den Ordensrittern ist hingegen nur wenig bekannt. In den Wirren des Orkkriegs sollen sie sich angeblich in die von Viktor gegründete Burg Lauenstein in den Wäldern von Tortall niedergelassen haben... "Ein edler Ritter ist hart und einfühlsam zugleich; denn diese Eigenschaften machen ihn zum wahren Ritter; und zugleich zum Opfer." "Des Menschen größter Feind ist seine Verletzlichkeit. Seine Verletzlichkeit ist das Kind seiner Gefühle. Gefühle machten mich einst zu dem was ich nun bin. Aber nun bin ich ein Wesen der Nacht. Die Nacht ist die Mutter der Dunkelheit ? ich bin dunkel. Mein Herz ist dunkel. Ich fühle dunkel. Das macht mich zum Feind. Zum Feind der Menschen. Doch der Mensch erkennt seinen Feind nicht immerzu. Wohl weißlich über die Verletzlichkeit täuscht ihn der Feind. Selbst, wenn der Mensch seinen Augen nicht traut ? Gefühle, Emotionen überkommen ihn und steuert sein Tun und Handeln. Schmerz blendet uns. Keiner ist gefeit davor. Man ist Sklave von Liebe, Haß und Traurigkeit. Leichtes Opfer von Täuschungen, die sich die Schwäche der Verletzlichkeit des Menschen zu nutze machen. Schmerz blendete mich. Ich wollte meinen Bruder zurück. Ich hätte alles dafür getan. Und ich habe alles für seine Wiederkehr getan. Ein wahrlich schwerer Fehler. Denn ich hätte ihn erkennen müssen. Den Dämonen Vogurasht?s - in der vermeintlichen Gestalt des Engels. Unendliches Leid wäre uns erspart geblieben. Hätte ich nur gezweifelt. Doch Zweifel ließ mein Schmerz nicht zu. Meine Gefühle überwanden alle Widerstände in mir. Nun habe ich alle Zeit der Welt über diesen schweren Fehler nachzudenken. Denn Mangel an Zeit habe ich nun nicht mehr. Im Gegenteil: für die Unsterblichen ist Zeit ein mächtiger Verbündeter. Neben der Nacht und der Verletzlichkeit der Sterblichen unser einziger Verbündeter. Gezeichnet Graf Sigmund von Lauenstein |
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